Karfreitag 2011
Karfreitag …
Im Blick auf den Karfreitag lade ich dich ein,
dein eigenes Kreuz zu betrachten,
es anzunehmen und zu tragen.
Im Blick auf den Karfreitag lade ich dich ein,
dir einzugestehen,
wie viele unnötige Kreuze du dir selbst
aufgeladen hast:
deinen Stolz, deine Feindschaften,
deinen Hass, deinen Egoismus.
Im Blick auf den Karfreitag lade ich dich ein,
die Kreuze der heutigen Menschen
anzuschauen.
Wie viele Menschen drohen heute unter
ihrem Kreuz zusammenzubrechen.
Im Blick auf den Karfreitag lade ich dich ein,
darüber nachzudenken,
wem du selbst ein Kreuz auf die Schultern gelegt hast,
- wem du das Leben schwer oder sogar zur Hölle machst.
Im Blick auf den Karfreitag lade ich dich ein,
ein Simon von Cyrene zu sein:
Wem kannst du das Kreuz tragen helfen?
Wen kannst du ein Stück von seiner Last
befreien?
Im Blick auf den Karfreitag lade ich dich ein,
dankbar zu sein für Jesus,
der sich an diesem Tag auf die Seite all
derer gestellt hat,
die schweres Leid zu tragen haben.
So wird Jesus zur großen Stütze für all die, die verzweifeln oder resignieren möchten.
Er zeigt ihnen,
wie sie aufstehen und auferstehen können.
aus:
Bardeler Fasten-Meditationen 2008
Das Kreuz …
Herr, warum soll ich mir das antun? Der Anblick deines Kreuzes ist alles andere als angenehm.
Ich sehe dein verletztes und entstelltes Gesicht, ohne jede menschliche Würde.
Ich sehe dein qualvolles Leiden und dein grau-sames Sterben.
Wie eine Schildkröte, die ohnmächtig und hilflos auf dem Rücken liegt, hat man dich aufs Kreuz gelegt und festgenagelt.
Warum gehst du diesen Weg?
Du stellst dich auf die Seite der Verlierer, auf die Seite der Ohnmächtigen und Verzweifelten.
Du stellst dich auf die Seite all derer, die heute zu Kreuze kriechen, die heute kein Bein auf die Erde kriegen - auf die Seite all derer, die heute fest-genagelt werden.
Inmitten einer Welt, in der die Schönen und Erfolgreichen alle Blicke auf sich ziehen, richtest du meinen Blick auf die Leidenden dieser Welt.
Dein Kreuz drängt mich, ein Auge zu haben für die, die heute gefoltert und gekreuzigt werden - für die, die heute unter ihrem Kreuz zusammenbrechen.
Dein Todesschrei am Kreuz drängt mich, ein Ohr zu haben für die, die heute um Hilfe schreien, die heute ums Überleben kämpfen.
Dein Kreuz fordert mich auf, den Erschöpften auf die Beine zu helfen und dem Hungernden ein Stück Brot zu geben. - Es fordert mich auf, dem Verzweifelten Mut zu machen und dem Geschei-terten einen Weg zu zeigen.
Es fordert mich auf, dem Schwerkranken die Hand zu streicheln und dem Sterbenden eine Brücke ins jenseitige Leben zu bauen.
Ja, ich kann es nicht anders sagen, Herr:
Dein Kreuz ist ein Segen für die Menschheit!
aus:
Bardeler Fasten-Meditationen 2009
Den findest du in mir …
Und wäre ich mutterseeelenallein auf dieser Welt gewesen, Gott hätte seinen gekreuzigten Sohn herab gesandt, damit er gekreuzigt werde, um mich zu erlösen.
Eine befremdliche Anmaßung wirst du sagen. Und dennoch, ein solcher Gedanke muss schon so manchem Christgläubigen durch den Kopf ge-gangen sein.
Aber wer, fragst du, hätte dann über ihn zu Gericht gesessen, hätte ihn geschlagen, ihn ans Kreuz genagelt?
Such ihn nicht lange, ich selbst hätte das getan. Alles hätte ich getan.
Jeder von uns kann dasselbe von sich behaupten. So, wie wir sind, und aus welchem Winkel der Welt wir auch stammen mögen.
Hat man keinen Juden zur Hand, der ihm ins Angesicht spukte, ich bin bereit.
Braucht es einen römischen Beamten, um ihn zu verhöhnen,
einen Soldaten, um ihn zu verspotten,
einen Henker, um ihn an das Holz zu schlagen, damit er dort hängen bliebe bis an das Ende der Zeiten,
immer wäre ich es selber, ich wäre dazu imstande, all das zu verüben.
Und was ist mit dem Jünger, der ihn liebt? Das ist das Schmerzliche an der Geschichte und zugleich auch das große Geheimnis:
Du weißt es recht gut, auch diesen Jünger findest du in mir.
(Julien Green,
Text auf seiner Grabplatte in St. Egid, Klagenfurt)
Der Beweinte tröstet die Weinenden …
Das öffentliche Schauspiel - das grausige Drama, in dem Jesus gezwungenermaßen die „Hauptrolle“ spielen muss - nimmt seinen Lauf. Ohne jegliches Mitgefühl wird der, der gekommen war, Zeugnis zu geben von der Liebe Gottes zu den Menschen und um diesen den Frieden zu bringen, wird brutal in den Tod getrieben.
Verraten, verspottet, gebunden und mit dem Kreuz beladen, ist das Volk auf den Beinen um mit zu erleben, wie d e r aus dem Weg geschafft wird, dem sie vor wenigen Tagen noch aus voller Kehle zugejubelt haben. Aus dem „Hosianna“ ist über Nacht das „Kreuzige ihn“ geworden. Die Menge (oder sollte man besser sagen: die Meute) hat sich von denen aufhetzen lassen, denen dieser Jesus ein Dorn im Auge war. Nicht mehr das eigene Gefühl und Denken ist entscheidend, sondern die Meinung des Mobs - der Straße. Hier ist kein Platz für Menschlichkeit - für eigene Entscheidungen -und erst recht nicht für irgendeine Äußerung von Mitgefühl und Mitleid.
Und doch findet sich auf diesem bestialischen Schauplatz - auf diesem Todeszug - hier und da noch menschliches Mit-fühlen -- der Versuch, dem, der scheinbar von allen verlassen ist, zu zeigen, dass ihn doch nicht alle verlassen haben.
Da ist seine Mutter, die mit ihm zwar nur Blicke austauschen kann, weil man sie nicht zu ihm lässt, - Blicke, die aber so unendlich viel sagen. Ebenso treffen wir Simon von Cyrene, der - wenn auch dazu gedrängt - für und mit Jesus ein Stück des Weges das Kreuz trägt. Da ist aber auch Veronika, die sich sogar durch die Menge und die Soldaten kämpft, um Jesus ein Tuch zu reichen, damit er sein von Schweiß und Blut überströmtes Gesicht abwischen kann.
Schließlich treffen wir die Frauen, die ihrer Trauer und ihrem Entsetzen über das scheußliche Treiben - aber auch ihrem Schmerz und Mitgefühl mit dem so Geschundenen - in ihren Tränen freien Lauf lassen. Sie können zwar nichts spürbares mehr für ihn tun - außer ihm so zu zeigen, dass er nicht allein gelassen ist - dass sie ihm die Treue halten und ihn auf diesem furchtbaren Weg in seinen Tod begleiten. Und dann geschieht für sie und uns das Unfassbare: Der, um den sie trauern und den sie beweinen -- dem sie ein wenig Trost zukommen lassen wollen -- dieser geschundene Jesus tröstet sie - versucht sie aufzurichten. Er zeigt ihnen den Weg und ermutigt sie, sich neu zu orientieren und umzudenken. Sein Schicksal ist nicht mehr entscheidend, sondern das, was aus ihnen und ihren Kindern - seinem Volk - wird.
Und wie oft gehören wir in unserem Leben zu den „weinenden Frauen“ - zu denen, die aus Mitgefühl, oder aus Verlassenheit „weinen und trauern“? - Um Menschen, die der Tod uns genommen hat - um Verrat in unserem Leben, der von uns kam oder der uns angetan wurde? Aus Mitgefühl für uns nahestehende Menschen, die eine grausame Krankheit langsam sterben lässt. Aber auch unser „Weinen“ um so viele Menschen, deren Unheil und Schicksal kein Ende zu nehmen scheint. Da ist die Trauer um zerbrochene oder gar von uns zerstörte Beziehung und gescheiterte Lebenspläne. Jeder muss „seinen“ Kreuzweg selbst gehen - sein „Golgotha“ dazu allein erreichen - und dabei wird es für den einen schmerzlicher sein als für andere. Den nur „ebenen“ und gänzlich einfachen Weg gibt es für keinen. Zudem wird es auch immer die Frage sein, wieweit wir uns dabei von unserem Kreuz belasten oder gar erdrücken lassen. Dabei wird es auch entscheidend sein, ob es uns gelingt, trotz manchem „Hinfallen“ wieder aufzustehen - oder ob wir liegen bleiben und uns tatenlos dem Schicksal überlassen. Dazu wird für jeden der Anlass für seinen „Weg nach Golgotha“ ein anderer sein - und oft von Außenstehenden nicht verstanden werden.
Es kann und wird manchmal unsere letzten Kräfte fordern, den eigenen Kreuzweg zu gehen - ihn zu bestehen - und Ostern zu erreichen. Und das kann nur gelingen, wenn am Rand des „Weges nach Golgotha“ Menschen wie Maria, Simon und Frauen und Männer stehen, die mit uns gehen. Wir werden nur ankommen, wenn wir den dabei „mitnehmen“, der diesen Weg für uns alle gegangen ist.
(M. Schaefer)
Erniedrigung …
Ein König gab ein großes Fest. Der Festsaal füllte sich allmählich mit den Schönen, Wichtigen und Reichen seines Landes. Alle waren in ihren pracht-vollsten Gewändern gekommen. Da fuhr wieder eine Kutsche vor. Der hochgestellte Gast darin wollte aussteigen, aber er blieb mit dem Fuß an der untersten Sprosse des Ausstiegs hängen. Der Länge nach fiel er in eine große Pfütze. Betrübt schaute er seine beschmutzten und völlig durch-nässten Kleider an: Nun konnte er nicht mehr in den Festsaal des Königs hineingehen.
Der König, dem man von dem Unglück berichtet hatte, kam heraus zu seinem Gast. „Komm doch mit hinein“ sagte er, „niemand wird auf deine Kleider schauen!“ Aber der Gast schämte sich zu sehr. Da warf sich der König in die große Pfütze - über und über beschmutzt stand der wieder auf. Er nahm seinen Gast am Arm - und die beiden gingen zusammen in den Festsaal.
(Mündliche Überlieferung)
Gebet (zum Abschluss der Begrüßung + Einführung
der Karfreitags-Meditation 2011)
Barmherziger Vater,
zum Gedenken an die Todesstunde deines Sohnes haben wir uns hier versammelt, um deinen Sohn unter das Kreuz zu begleiten.
Wir kommen aus unserem Alltag, in dem uns sein Leiden und Sterben meistens sehr weit weg und fern erscheint.
Hilf du uns zu erkennen, dass dein Sohn für jeden von uns gestorben ist und dass du durch sein Leiden und Sterben unsere Leiden und ebenso unser Sterben teilst und trägst.
Hilf uns, dass wir dieses Gedenken des Leidens und Sterbens deines Sohnes so bedenken, dass wir Anteil erhalten an der österlichen Freude des auferstandenen Herrn,
Er, der mit dir lebt und herrscht in Ewigkeit, Amen.
Buß und Reu knirscht das Sünderherz entzwei,
dass die Tropfen meiner Zähren
angenehme Spezerei,
treuer Jesu, dir gebären.
Blute nur, du liebes Herz.
Ach! Ein Kind, das du erzogen,
das an deiner Brust gesogen,
droht den Pfleger zu ermorden,
denn es ist zu Schlang geworden.
So ist mein Jesus nun gefangen.
Mond und Licht ist
vor Schmerzen untergegangen,
weil mein Jesus ist gefangen.
Sie führen ihn, er ist gebunden.
Es ist vollbracht,
es ist vollbracht!
O Trost vor die gekränkten Seelen.
Die Traurigkeit lässt nun
die letzte Stunde zählen.
Der Held aus Juda siegt mit Macht
und schließt den Kampf.
Zerfließe mein Herze
in Fluten der Zähren
dem Höchsten zu Ehren.
Erzähle der Welt
und dem Himmel die Not:
Dein Jesus ist tot.
(J.S. Bach: Johannes- und Matthäus-Passion)
Herr,
das ist die frohe Botschaft,
die du uns allen
gebracht hast,
dass nach jedem Karfreitag
ein Ostern kommt.
Romano Guardini
Aus dem Tagebuch eines Grabbesitzers …
Irgendwann im Jahr 32:
Heute ist es fertig geworden: Mardochai holte mich zur Besichtigung. „Im Ernst, Josef“, sagte er und strich sich den Bart, „ein schöneres ist mir noch nicht gelungen.“ Er hatte Recht: es war schön, auch wenn „schön“ ein Wort ist, das für ein Grab irgendwie unpassend ist. Das war es nun - mein Grab. Dort auf der steinernen Bank würde ich liegen, na ja, würde man mich hinlegen und Judith dann auf die andere. (…) Ich habe in der letzten Zeit viel nachgedacht, gerade auch über den Tod. Wenn ich schon nicht weiß, was nachher kommt, dann will ich wenigstens wissen, wo ich liegen werde. Nun bin ich schon 60 und mein Vater ist nur 57 geworden.
14. Nissan 33:
Mein Grab ist besetzt. Der Prophet aus Nazareth liegt drin. „Dieser Verbrecher“, sagt Judith. „Ein Skandal. Und dieses Passafest kannst du als Unreiner auch nicht mitfeiern.“ - Und ich dachte: ich, ich als Erster … ?
Nein, wenn es schon so kommen musste, dann ist mir diese Gesellschaft in meinem Grab doch ganz willkommen. - Was hatte der für eine Hoffnung, und nun … ? Also, wenn tot sein auch tot bleiben heißt, dann ist es ohnehin egal, wo man liegt und wer bei einem liegt. Ein Fremder - in meinem Grab. Manchmal habe ich den verrückten Gedanken: Der da in deinem Grab, der ist deinen Tod gestorben. Er hat deinen Platz besetzt, und nun brauchst du nicht mehr zu sterben. Verrückt, ich weiß, aber wer kann schon etwas für seine Gedanken?
16. Nissan 33:
Mein Grab ist wieder für mich frei. Er hat für mich Platz gemacht. Einfach verschwunden; seltsam ist das schon. Mein Grab ist irgendwie anders. Ich denke nicht mehr voller Angst an den Tod. Mein Grab ist offen, man kann hinaus, er hat es uns vorgemacht. Ja, ich denke jetzt ruhiger an den Tod. Ich habe nun keine Gesellschaft mehr in meinem Grab - aber einen Vorgänger. Und das ist wichtiger!
(Helmut Siegel)
Segensgebet (zur Meditation am Karfreitag)
Barmherziger Vater,
segne uns auf dem Weg durch diese Tage und
führe uns wieder zusammen, wenn das Licht
des Ostermorgens alle Dunkelheiten erhellt -
wenn dein Sohn den Tod überwunden hat und
wenn der österliche Ruf ertönt:
Christus ist auferstanden!
Er ist wahrhaft auferstanden, damit auch wir
immer wieder ins Leben finden.
Dazu segne uns und die Menschen dieser Erde
der allmächtige und dreieinige Gott,
der Vater und der Sohn und der Heilige Geist,
Amen.